Humboldt-Universität zu Berlin - Musikwissenschaft

Gastwissenschaftler*innen

Sommersemester 2021
  • Rebecca Epstein-Boley

"Fesch, flott, fidel und falsch": Damen-Blasorchester und -Trompeterkorps in Deutschland, 1900–1918

Meine Forschung befasst sich mit der Geschichte der aus Damen bestehenden Blas- und Blechbläserensembles, die kurz um 1900 in deutschen Restaurants und Varietétheatern häufig zu sehen waren. Die Ensembles waren ein Teil des größeren Trends von Damenkapellen, und ihre Musikerinnen kamen aus der Arbeiterklasse. Ihre Auftritte kombinierten in der Regel (meist militaristisches) Spektakel und Musikalität, eine hybride Form, die die Grundlage für die Popularität der Ensembles bildete.
 
Meine derzeitige Arbeit zielt darauf ab, Fallstudien von sechs dieser Ensembles zu entwickeln, unter Berücksichtigung des Repertoires, der Aufführungsorte und der Präsentation jeder Aufführungsgruppe. Ich versuche auch, die Ensembles in den breiteren Kontext der zeitgenössischen Varieté-Szene zu stellen, indem ich die Rollen der Blasmusik, der militärischen Bilder und des Femininen auf der populären Bühne vor dem Ersten Weltkrieg betrachte. 

University of Michigan, Ann Arbor, USA
https://smtd.umich.edu/
DAAD / Jahresstipendium für Graduierte
 

 

  • Nastasia Sophie Heckendorff

Inszenierte Politik und politische Inszenierung. Die Bühnenwerke Marco Marazzolis im Kontext des seicento

Das Dissertationsvorhaben lotet das Verhältnis von Musiktheater und Politik im seicento aus – am Beispiel des Komponisten Marco Marazzoli (1602 (?) –1662). Marazzolis von der Forschung bisher weitestgehend unbeachtete Bühnenwerke entstanden im Auftrag verschiedener höfischer und kirchlicher HerrscherInnen. Sie stehen alle in direktem bzw. indirekten Bezug zur damaligen politischen Situation. Die Aufführungsorte, Rom, Ferrara, Venedig und Paris, weisen unterschiedliche Voraussetzungen, Intentionen und Ansprüche in Bezug auf die Inszenierung, Repräsentation und Botschaft von Politischem auf. Dies wurde – so die These – von den Librettisten, Komponisten und Szenographen bei der Komposition und Inszenierung der Bühnenwerke hinsichtlich ihrer politischen Wirkmächtigkeit berücksichtigt. Inszenierte Politik und politische Inszenierung stehen in einem komplexen Spannungsverhältnis, das es zu untersuchen gilt. 

Das Projekt zielt auf eine vergleichende Analyse der Opern als performative Bühnenspektakel vor dem Hintergrund des jeweiligen Kontextes. Dies ermöglicht die Aufdeckung kulturpolitischer Strategien sowie politischer Implikationen im Werk selbst und deren künstlerische Gestaltungsmittel. Neben Marazzolis autographen Partituren, die zahlreiche Umarbeiten aufweisen und mittels eines textgenetischen Ansatzes erstmals ausgewertet werden, bezieht die Studie eine Vielzahl an heterogenen Quellen ein, die aus musikwissenschaftlicher Perspektive noch nicht erschlossen sind: die Korrespondenz Marazzolis und die innerhalb seines Netzwerkes (Antonio Barberini d. J., Jules Mazarin, Cornelio Bentivoglio, Anne von Österreich) ebenso wie Tagebucheinträge, Reiseberichte, Chroniken und Bildquellen.

Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena
HfM FRANZ LISZT Weimar / Friedrich-Schiller-Universität Jena
https://www.hfm-weimar.de/institut-fuer-musikwissenschaft-weimar-jena/willkommen/#HfM
Studienstiftung des deutschen Volkes
 

 

  • Dr. Pietro Massa

Geschichte und Ästhetik der italienischen Klaviermusik

Die Forschungsarbeit erörtert die bisher kaum berücksichtigte Entwicklungsgeschichte der italienischen Klaviermusik von den Anfängen in der Frühbarockzeit bis zu den Spätereignissen des Novecento. Mit der Veröffentlichung des ersten Bandes von Girolamo Frescobaldis Toccate e partite d'intavolatura di Cimbalo im Jahr 1615 vollzog sich in der italienischen Instrumentalmusik ein epochaler Stilwandel, bei dem die Ablösung vom strengen Kontrapunkt der Vokalpolyphonie zu einer neuartigen spieltechnischen Komplexität führte. Jedoch erst im Jahr 1698, als der Instrumentenbauer Bartolomeo Cristofori das erste Exemplar eines Fortepianos (Arpicembalo) anfertigte, gelang am Hof von Ferdinando de’ Medici in Florenz die Umsetzung eines für utopisch erachteten Experiments: Die Erfindung des Hammerklaviers ermöglichte im Gegensatz zu den herkömmlichen Tasteninstrumenten eine dynamisch-anschlagsdifferenzierte Spielweise. Im Projekt wird daher der neue kontrastreiche Horizont betrachtet, der sich den damaligen italienischen Komponisten plötzlich eröffnete.
Obwohl der galante Stil sich zu profilieren begann, bewahrte die Oper noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Vorrangstellung im italienischen Musikleben, so dass eine Vielzahl bedeutender Instrumentalkomponisten sich von der Heimat verabschiedete. Von zentraler Bedeutung ist dann die Erläuterung der Wende, welche schlagartig in der zweiten Hälfte des Ottocento als Reaktion gegen den Stil von Giuseppe Verdis Operntheater geschah. Die Exponenten der sogenannten Generazione dell'Ottanta strebten eine neue Ästhetik durch die Anknüpfung an die italienische Tradition der Spätrenaissance an, um den Musikstil strukturell zu erneuern, und bewirkten damit die historischen Voraussetzungen, die es den Komponisten des 20. Jahrhunderts erlaubten, sich den Einflüssen der europäischen Avantgarde zu öffnen.
In dem Forschungsprojekt werden die Wechselwirkungen zwischen Oper- und Klaviermusikgeschichte in Italien teilweise anhand der Auswertung unveröffentlichter Dokumente aus den Nachlässen der einzelnen Komponisten erläutert, um die stilistischen Entwicklungslinien bei den Klavierkompositionen aus dieser neuen Perspektive zu rekonstruieren.

Pietro Massa, geboren 1973 in Mailand, studierte Klavier, Komposition und Klassische Philologie mit Schwerpunkt Gräzistik. Nach seinem Hochschulabschluss in den drei Fächern setzte er ab 1999 die Studien in Deutschland fort und promovierte 2005 an der Freien Universität Berlin im Fach Musikwissenschaft. Neben der akademischen Laufbahn ist Pietro Massa international als Konzertpianist tätig.
 

 

  • Anna Vermeulen

The Radio Artist as Ethnographer: Sound, Knowledge and Subaltern Realities in Contemporary Documentary Radio Art (Working Title)

In my research I focus on the burgeoning field of artistic radio works that use documentary strategies to sonically address histories and conditions of subaltern groups. This practice, which in the use of field recording, interview, archival sound materials and electroacoustic composition blurs the boundaries between artistic production and ethnographic and historical research, provides an ideal ground for the study of the convergence of sound and knowledge formation. I explore this in a body of works, circulated on transnational radio platforms, investigating how they use sound to (re-)present subaltern realities as well as their relationship to other (academic) networks of knowledge production.

I am currently developing case studies of three radio works (by Aurélie Lierman, Floy Krouchi and Meira Asher) which reflect on highly mediatized conflicts of violence in postcolonial contexts. I pay specific attention to the use of orality and testimony as historiographical tools and the sonic representation of space, local identities and violence.

Katholieke Universiteit Leuven, Belgien
https://www.arts.kuleuven.be/musicology
DAAD

 

 

  • Dr. Lena-Lisa Wüstendörfer

Studien zur Schweizer Sinfonik des langen 19. Jahrhunderts

Die Schweizer Sinfonik der Klassik und Romantik stellt innerhalb der Musikforschung ebenso wie in der musikpraktischen Realität ein noch kaum beleuchtetes Thema dar. Vor dem Hintergrund der Eidgenossenschaft im Knotenpunkt verschiedener Kulturen und Sprachregionen und den damit einhergehenden stilistischen Einflüssen seitens der umliegenden Nachbarländer sind Fragen der Identität und Musikästhetik im Hinblick auf eine kulturgeschichtliche Situierung des kompositorischen Schaffens der Schweiz im europäischen Kontext von besonderem Interesse.

Das Forschungsvorhaben (Postdoc) nähert sich dem Gegenstand mittels ausgewählter 'Tiefenbohrungen', deren eine die Musik des in Schwyz geborenen Komponisten Joseph Joachim Raff in ihren Mittelpunkt stellt. Der Nachlass J. Raff in der Staatsbibliothek zu Berlin liefert hierzu aufschlussreiches Quellenmaterial.

Joachim-Raff-Gesellschaft / Joachim-Raff-Forschungsstipendium für Nachwuchswissenschaftler*innen