Humboldt-Universität zu Berlin - Medienwissenschaft

Prof. Dr. Niels Werber: Mediengesellschaft

  • Was Kolloquium „Medien, die wir meinen“
  • Wann 25.01.2006 von 18:00 bis 20:00
  • Wo Sophienstraße 22a, R. 0.01 (Medientheater)
  • iCal

Offenbar tut die Gesellschaft nicht nur einfach, was sie tut, nämlich auf die unterschiedlichste Weise und mit der unterschiedlichsten Reichweite zu kommunizieren, sondern sie fragt sich auch, wie sie das tut im Unterschied zu anderen Möglichkeiten, die es auch noch gäbe – etwa „riskant“, wenn man die Gesellschaft für eine „Risikogesellschaft“ halten will, oder „normal“, wenn sie denn eine „Kontrollgesellschaft“ sein soll. Die selbstbezügliche Fragestellung nach der Identität bringt Antworten hervor, die auf das Ganze der Gesellschaft zielen und die im systemtheoretischen Paradigma als Selbstbeschreibungen firmieren.

Technische Medien und Verkehrsmittel spielen in den Selbstbeschreibungen der Gesellschaft eine zentrale Rolle. Dies hat seinen Grund nicht allein in der Häufigkeit, mit der Selbstbeschreibungsformeln von der „Netzwerkgesellschaft“ bis zur „Cyber Society“ mediale Komponenten einbauen. Entscheidend ist vielmehr, daß der Verweis auf Medien eine bestimmte Funktion hat, wie sich an der historischen Semantik der Selbstbeschreibungen beobachten läßt: Der Anschein objektiver, von allen Standpunkten unabhängiger Faktizität technischer Verhältnisse versorgt die Selbstbeschreibungsformel mit Evidenz. Ob es beispielsweise „Klassen“ in dem Sinne gibt, der  Marxisten von „Klassengesellschaft“ sprechen läßt, ist durchaus strittig, während die kurrente Bezeichnung der Weltgesellschaft als „Computergesellschaft“ den Vorzug zu haben scheint, daß es zur Zeit, anders als vor sechzig Jahren, Hunderte von Millionen Computern auf der Welt gibt, weshalb der Begriff ob seines quantitativen und qualitativen Gehalts zur Unterscheidung tauge. Selbstbeschreibungsformeln fungieren ähnlich wie Werte als kommunikatives „bias“. Dies gilt im Falle der „Computergesellschaft“ oder „Netzwerkgesellschaft“ für sämtliche Funktionssysteme und Organisationen, deren Autopoiesis so ein Motiv zur evolutionären Selbstanpassung an eine Umwelt erhält, deren Realität die Formel der „Computergesellschaft“ beschreibt. Die Form der „Realität“ der „Computergesellschaft“ hängt aber sehr von der semantischen Tradition ab, in der Selbstbeschreibungsformeln stehen. Denn die Technik, auf welche die Formel referiert, forciert keinesfalls eine bestimmte Beschreibung, die vielmehr in entscheidender Weise der Beschreibungsgeschichte der besagten Technik folgt. Ob man etwa mit der Formel der „Computergesellschaft“ auf das schnelle Verarbeiten von Daten verweisen möchte, auf die globale Vernetzung lichtschnell interagierender Rechner oder auf die „Entfremdung“ der an ihre Endgeräte gefesselten und voneinander isolierten Nutzer, ob man also die Sach-, Raum- und Zeit- oder Sozialdimension der Kommunikation mit Computern betont, findet seinen Grund nicht im Technischen, sondern in den unterschiedlichen Beschreibungsmöglichkeiten, welche die Mediensemantik zur Verfügung stellt. Verallgemeinert, lautet meine These, daß Medien nicht nur als Objekte historischer Darstellung aufzufassen sind, sondern auch als Protagonisten dieser Darstellung, deren Form von den Faktizitäten der Medien genauso abhängt wie von ihrer semantischen Aufladung. Medien: insbesondere neue Medien, Medienverbünde, Medienhybride, machen nicht nur als Techniken Epoche, sondern sie verdanken ihr Gewicht sozialen Zuschreibungen, deren Form von der Beschreibungsgeschichte dieser Medien abhängt. Eine Kommunikationsgeschichte dieser ‚technoiden’ Selbstbeschreibungsformeln würde ihr Problem nicht in den Apparaten und Schaltungen finden, sondern in den Selbstrestriktionen der Kommunikation, zumal in der Geschichtlichkeit der Kommunikation über Medien: in der Mediensemantik als semantischer Bestand der Gesellschaft, der solche Beschreibungen von Medien speist.