Exposé zum internationalen Workshop
- Abstract
- Ausgangsüberlegungen, Forschungslage und Forschungsfragen
- Zeitliche Gliederung und thematische Struktur des Workshops
- Bibliographie
1. Abstract
Das Analogrechnen in seinen graphischen und maschinellen Formen stellt eine stolze und besondere Form operativer Mathematik in der abendländischen Wissenstradition dar – ein Wissen, das in der Epoche sogenannter digitaler Medien und „digital humanities“ zu Unrecht verlorenzugehen droht. Die elektronische Eskalation des Analogrechners, der Analogcomputer, steht nicht auf dem Abstellgleis der Technikgeschichte, sondern er ist ein bleibendes Versprechen (aus) der Vergangenheit der Computerkultur – so lautet die These und das Vorhaben des geplanten Workshops. Nicht nur lebt er in Form seines Kernelements, des Operationsverstärkers, auch in digitalen Systemen partiell fort (und macht diese damit zu Analog-Digital-Hybridsystemen); er birgt Potenziale, die noch der Aktualisierung harren und über Fragen technologischer Effizienz hinaus auch von grundsätzlichem Erkenntnisinteresse sind. Der Analogcomputer ist mehr als bloß eine exotische mathematische Maschine; seine vielfältigen Erscheinungsformen (bis hin zum musikalischen Synthesizer) verdienen es, erkenntniswissenschaftlich explizit gemacht zu werden. Um dies zu erkennen, tut eine Diskussion und Schärfung der damit verbundenen technischen und epistemologischen Begrifflichkeit Not, wie es Aufgabe von Medientheorie ist und daher die fachliche Verortung des Workshops begründet.
2. Ausgangsüberlegungen, Forschungslage und Forschungsfragen
Als sich vor wenigen Jahren eine medienwissenschaftliche Publikation den Aussichten des Computers widmete (Pias 2005), war damit selbstredend der Digitalcomputer gemeint. Der heute wissensarchäologisch zu Unrecht vernachlässigte Analogcomputer ist demgegenüber mehr als nur ein technikhistorisches „Zwischenspiel“ des elektronischen Rechnens (vgl. Zielinski 1989). Die mit ihm verbundene techno-mathematische Denkweise unterscheidet sich signifikant von der algorithmischen Logik des Digitalcomputers. Ist es eine Ironie der Mediengeschichte, dass unter Konzepten wie Quanten- und Neurocomputing solche Eigenschaften wieder einkehren, die klassischerweise mit dem Analogcomputer verbunden wurden? Zunächst tut dabei eine technische wie medientheoretische Diskussion der Begrifflichkeit not: Analogrechner? Analogcomputer? Mathematische Maschine?
Bislang lässt sich bestenfalls sehr eingeschränkt sagen, dass das Analogrechnen als Modell in Digitalrechnern weiterlebt, da auch heutige Simulationssysteme zwar nach außen das gleiche mathematische Framework zur Verfügung stellen, nach innen jedoch quasi traditionell hauptsächlich sequenziell arbeiten. (Skramstad 1962, Ulmann 2010) Gerade vor diesem Hintergrund verspricht die architekturelle Grundidee des Analogcomputers nach wie vor eine große Zukunft; anders lässt sich kaum ein auch nur annähernd so großes Maß an feingranularer Parallelität erzielen. Heutige Prozessoren fordern erschreckend viel Rechenzeit mit Speicherzugriffen für das Abarbeiten traditioneller Algorithmen. Dies legt nahe, den durch Analogcomputing vertrauten Schritt zu rekonfigurierbarer Hardware wieder zu wagen, welche nicht durch einen Algorithmus, sondern durch ihre Struktur rechnet. Es hat seine technischen Gründe, dass die in der heutigen Computerkultur vertrauten Praktiken der Modellierung und der Simulation in Echtzeit zunächst am Analogcomputer entwickelt wurden – etwa in Form von Wetter-, Flug-, aber auch von Raketen- und Kernreaktorsimulatoren. Die Kernschmelzen des havarierten Reaktors im japanischen Fukushima sind seit März 2011 ein unerwarteter Anlass, die Realitätsnähe solcher Simulationen von Krisen wieder zu thematisieren.
Gegenstand des Workshops soll die Gegenwart und Zukunft des Analogrechners und des Analogcomputings sein, und zwar in epistemologischer Hinsicht. Die Erinnerung an den Analogcomputer ist keine technikhistorische Nostalgie, sondern soll ausdrücklich als Archäologie (im Foucault'schen Sinne) betrieben werden, d. h. als Anamnese ursprünglicher Alternativen zur gängigen von-Neumann-Architektur des Computers. Zukunft liegt hier verborgen, und so dient das medienarchäologische Training dem medientheoretischen Imperativ, das Wissen um Alternativen wachzuhalten.
Der Workshop stellt zum Einen die Frage nach der Positionierung des Analogrechners im symbolischen Regime der sogenannten Mediengeschichte im Allgemeinen und der Computerhistorie im Besonderen; doch er steht nicht nur in der Zeit, sondern zeitigt seinerseits Zeitverhältnisse. Zeit ist damit ebenso Subjekt und Objekt des Analogrechnens. Realzeitlich rasche Signalereignisse lassen sich zu analytischen Zwecken im Analogrechner ausgebremst darstellen; langzeitige Prozesse zu dem gleichen Zweck stauchen (ultra- und subzeitkritisch). Von daher fügt sich das Thema in den Forschungsschwerpunkt „Zeitkritische Medienprozesse“ am hiesigen Lehrstuhl Medientheorien.
Ein besonderer Akzent des geplanten Workshops liegt auf der Untersuchung und ästhetischen Erfahrung der Korrelation zwischen Analogrechner und seinem technologischen Zwilling, dem wohlvertrauten Musiksynthesizer. Im kulturellen Diskurs werden beide Apparaturen zumeist in völlig verschiedenen Kategorien wahrgenommen (Geschichte der mathematischen Maschinen einerseits, populäre elektronische Musik andererseits); aus medienarchäologischer Sicht (die auch die Sicht des Mediums selbst ist) aber gehören beide Schaltungen und Interfaces zusammen. In Form performativer und operativer Experimentalanordnungen wird der Workshop den Zusammenhang zwischen diesen beiden Wunderwerken von Elektronik (wieder-)herzustellen suchen.
3. Zeitliche Gliederung und thematische Struktur des Workshops
Eine öffentliche Abendveranstaltung wird in Form von „Performance Lectures“ die Fragestellung des Workshops einem interessierten Publikum zugänglich machen (Medientheater). Der folgende akademische Workshop diskutiert tags darauf Archäologie und Epistemologie des Prinzips Analogcomputer (Kolloquium). Abschließend lässt an Tag III ein praktischer Workshop den Analogrechner handgreiflich erfahrbar und nachvollziehbar werden (Signallabor).
Thematisch ist der Workshop in Modulen organisiert, denen die konkreten Performances, Vorträge und Praxisübungen zugeordnet werden:
Modul A: Rechnen, Hören und Sehen mit klassischer Elektronik: Analogcomputer und Synthesizer in gegenstrebiger Fügung (Abendveranstaltung)
In einer performativen Experimentalanordnung soll die medienarchäologische Verbrüderung von Analogcomputer und Synthesizer versucht werden: Rechnen mit dem Synthesizer einerseits (harmonische Oszillationen, Frequenzteilungen), Musik und Bilder auf, aus und mit Analogcomputern andererseits (nicht-digital gerechnete Audiovisionen). Während sich der wissenschaftliche Workshop „Think Analogue!“ neben der Anamnese des Analogcomputers vor allem seinen Perspektiven trotz und gerade angesichts der Dominanz digitaler Medien in akademischer Analyse widmet, soll dieser Abend mit Lecture-Performances vorweg und gleichzeitig als Auftakt wie als eigenständige Veranstaltung wieder zusammenbringen, was zumeist im Rahmen von Computergeschichte einerseits und elektronischer Musik andererseits getrennt gedacht wird: die technische Gleichursprünglichkeit von Analogcomputer und Musiksynthesizer. Der Nachweis dieses Zusammenhangs gelingt bevorzugt in der operativen Demonstration. Diese Experimentalanordnung soll innerakademisch erhellend sein, zugleich und vor allem aber eine Schnittstelle der Medienwissenschaft zur interessierten Öffentlichkeit bilden; genuin medientheoretische und medienarchäologische Weisen der Diskussion des Analogcomputers werden damit einem breiten Publikum aufgeschlossen. Gelingen soll dies durch die spezifische Dramaturgie des Abends, in dessen Zentrum zum Einen die reflektierte Darbietung eines Künstlers von Synthesizermusik (Alex Krüger) steht; zum Anderen wird ein Medienkünstler (Hans Kulk) einen Analogcomputer auf eine erkenntniseröffnende Weise umnutzen und damit Musik darbieten. Ebenso sinnlich ansprechend wie epistemologisch erhellend soll damit ein cross-over zwischen zwei technischen „Dinosauriern“ der modernen Medienkultur hergestellt werden, das auf anschauliche Weise lehrt, wie Medienwissenschaft scheinbar verschiedene Phänomene auf ebenso technisch wie ästhetisch strukturelle Weise zusammenzudenken trainiert. Der Dritte im Bunde ist Herbert W. Franke, der in der Blütezeit der Kybernetik mit Mitteln des Analogcomputers Bilder erzeugte.
Modul B: Epistemologie des Analogen
Die bis in die Alltagssprache abgesunkene, scheinbar selbsterklärende Unterscheidung zwischen „analog“ und „digital“ ist je weniger selbstverständlich, desto genauer deren konkrete Erscheinungsweisen betrachtet werden. Im Rahmen des thematischen Fokus' dieses Workshops auf den Analogcomputer gilt es zunächst die spezifischen Qualitäten des Operierens mit mathematischen Analogien (im Unterschied zur algorithmischen Methode) zu benennen, die auch jenseits des technikhistorischen Verschwindens der damit verbundenen Technologien noch von Erkenntniswert sind. Dies führt zur Diskussion der Frage, inwiefern die „analoge“ Denk-, Modellierungs- und Rechenweise nicht eindeutig der technischen Welt sogenannter Analogrechner und -computer zuzuordnen, sondern auch und gerade in der Welt des Digitalcomputers aufgehoben ist.
Modul C: Technologie des Analogcomputers
Analogrechnen als eine spezifische Weise der Berechnung, Modellierung und Simulation von Weltvorgängen wird erst dann zum Medium, wenn es als tatsächlich vollzugsfähige (Elektro-)Physik implementiert ist. Gegen die Hardwarevergessenheit einer zunehmend virtualisierten Softwarekultur widmet sich Modul C der Entdeckung der technisch entscheidenden Verwirklichungen des Rechnens mit Elektrizität und Materie. Diese medienarchäologische Anamnese dient dem Nachweis, dass der Analogcomputer als technische Realisierung zwischenzeitlich nicht gänzlich obsolet geworden ist; sein elektronisches Kernelement, der Operationsverstärker, ist etwa in der aktuellen Sensortechnik im Einsatz. Hybride Systeme, so der versuchte Nachweis, unterlaufen die gängige Einteilung in „analoge“ und „digitale“ Medienwelten.
Modul D: Praxis des Analogcomputings
Dieses Modul widmet sich anhand konkreter Szenarien den Verwirklichungen des Analogcomputers. Herauskristallisiert werden damit unter anderem seine spezifischen Stärken für die Untersuchung des Zeitverhaltens endlicher Systeme – mithin seine Echtzeitfähigkeit in der Simulation physikalischer Prozesse. Zeitgenössische Definitionen (etwa Bartram/Witfeld 1973) heben gegenüber dem Digitalrechner – damals noch vor der Epoche digitaler Signalverarbeitung – hervor, wie er zum einen die direkte Integration zeitabhängiger Funktionen, zum anderen die schnelle Bearbeitung des Einflusses von Parameteränderungen auf das Verhalten der Lösung ermöglicht. Neben Rückblicken in die Vergangenheit (mechanische Analogiemaschinen) treten dabei Ausblicke in Rechnerarchitekturen, in denen Zeitweisen des Analogcomputers wieder einkehren (Stichwort Quantencomputer).
Bibliographie
- Bernd Ulmann: Analogrechner: Wunderwerke der Technik – Grundlagen, Geschichte und Anwendung, München: Oldenbourg 2010.
- Charles Care: Technology for Modelling Electrical Analogies, Engineering Practice, and the Development of Analogue Computing. London: Springer 2010.
- Claus Pias (Hg.): Zukünfte des Computers. Zürich/Berlin: Diaphanes 2005.
- Andreas Böhn/Kurz Möser (Hg.): Techniknostalgie und Retrotechnologie, Karlsruhe: KIT Scientific Publishing 2010.
- Siegfried Zielinski: Audiovisionen. Kino und Fernsehen als Zwischenspiele der Geschichte. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1989.
- Horst Zuse: Die Feldrechenmaschine. In: MTW-Mitteilungen Nr. V/4, Jg. 1958, S. 213-220.
- Harold K. Skramstad: Combined Analog-Digital Techniques in Simulation. In: Advances in Computers, Bd. 3 (1962), S. 275-298.
- Reiner Bartram/Hartmut Witfeld: Simulation von Schwingungssystemen auf dem Analogrechner. Fortschritt-Berichte der VDI Zeitschriften, Reihe 11 (Schwingungstechnik), Nr. 14, Oktober 1973.
- Axel Volmar (Hg.): Zeitkritische Medien. Berlin: Kulturverlag Kadmos 2009.