Humboldt-Universität zu Berlin - Medienwissenschaft

Humboldt-Universität zu Berlin | Institut für Musik­wissen­schaft und Medien­wissen­schaft | Medienwissenschaft |  ↳ Medientheorien | Kolloquium | Rico Hartmann: "Linien, Loops und Knoten – Zu den Zeitstrukturen technischer Medien" (Magisterarbeit)

Rico Hartmann: "Linien, Loops und Knoten – Zu den Zeitstrukturen technischer Medien" (Magisterarbeit)

  • Wann 12.02.2014 von 18:00 bis 20:00
  • Wo Georgenstraße 47, R. 0.01 (Medientheater)
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Die Zeitvorstellungen abendländischer Kultur sind von der griechischen Antike bis in das Mittelalter vorwiegend linear geprägt, von einem an der (Schrift-)Sprache orientierten Verlauf eines irreversiblen Kontinuums mit bestimmtem Ursprung und Endpunkt. Zwar ist schon für Aristoteles Zeit «die Zahl der Bewegung» und er lässt Widersprüche in Form des rhetorischen Hysteron-Proteron zu, Téchne und Physis unterliegen aber konstanten Ideen und Logik dem starren Kausalnexus eines Tertium non datur.

In der Neuzeit setzen sich langsam parallel dazu die mittelalterlichen Denkfiguren kreationistischer und diagrammatischer Bewegung durch; das alte, naturorientierte Verständnis wiederkehrender Zeitfolgen kommt wieder auf. Der Buchdruck tritt mit seinen beweglichen Lettern und endlosen Reproduktionsserien neben die Uhrwerke, Fließbänder und Wärmekraftmaschinen, sowie die photo-, phono- und kinematographischen Apparate der Moderne. Die Wiederholungen rotierender, reproduzierender Systeme werden zum epochalen Grundprinzip; neben die statische, lineare Zeit treten Fluktuationen. Zeitwahrnehmung wird zum relativen Apriori eines Beobachters, in der sich Zeitformen verschränken, man spricht von der «Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen» (Bloch).

Im Computerzeitalter kommt die Dynamisierung zum Höhepunkt, neben die vormaligen Zeitfiguren tritt die nonlineare Historizität der Systeme (DeLanda, Simondon) mit unkalkulierbaren Temporalitäten. Die Zyklen verdrehen sich zu Schleifen (Hofstadter), man spricht von der «Beobachtung zweiter Ordnung» (von Foerster), von «Dromologie» (Virilio), Zäsuren (Foucault), «Mille Plateaux» und dem «Rhizom» ohne Anfang und Ende (Deleuze) als Internetmetapher, man spricht von Chaos, Fraktalen und Paradoxien. Die Dinge lösen sich auf, werden pluralistisch, verstricken und verknoten sich und kommen in abstrakten Maschinen, «Agenturen» (Latour) oder «Dispositiven» (Foucault) mit komplexen Mustern und Abläufen wieder zusammen.

Nimmt man diesen Wandel als Ausgangspunkt, bedeutet das, dass die Zeitbegriffe selbst zeitlichen Paradigmen unterlagen und diese wiederum immer mit dem Stand der Medientechnik zusammenhingen. Die Frage nach der Vorgängigkeit performativer oder operativer Zeitstrukturen (McLuhans «Extensions of man» vs. Kittlers «medientechnisches Apriori») soll hier nicht entschieden werden. Fakt ist, dass sich Sokrates, Nietzsche oder Deleuze durchaus um den Einfluss der «Aufschreibesysteme» (Kittler) auf die Vorstellungskraft bewusst waren. Deutet man das als «Gleichursprünglichkeit» von Denken und technischer Implementierung, ist eine Konsequenz, dass «Zeitkritik» zur Geschichtskritk wird (Ernst). Die These soll nicht sein, dass die gängigen Vorstellungen von Ablaufstrukturen durch die Gegenwart technischer Medien gänzlich aufgehoben würden, denn die scheinbar vergangenen Systeme bleiben hier immer verschachtelt eingebettet, so McLuhan. Aber wenn Zeitachsenmanipulationen in Bild- und Tonspeichern möglich sind, wenn man synchronisiert, live überträgt und in der Echtzeit von (vernetzten) Schaltkreisen und Algorithmen rechnet – und dabei noch weit entfernt ist von der «Spukwirkung» der Überlichtgeschwindigkeit (Einstein) in Quantencomputern –, wird die universelle Sequentialität unterlaufen. Natürlich läuft währenddessen Newtons Kosmos absoluter Zeit weiter und prägt die Umwelterfahrung, wird aber in der Ubiquität systemtechnischer Simulakren überlagert von deren diskreten Codes, Eigenzeiten, Beschleunigungen und Geschwindigkeiten. Zeit ist in mediengenerierter Prozessualität nicht einfach gegeben, sondern eine extensive Größe. Deshalb soll dargestellt werden, wie mit Zeit als zentralem, messtechnischem Parameter in einzelnen Systemen verfahren wird.