Peter Geble: Jesper Svenbro: Ein Altphilologe als Medienarchäologe
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- Peter Geble: Jesper Svenbro: Ein Altphilologe als Medienarchäologe
- 2005-11-09T18:00:00+01:00
- 2005-11-09T20:00:00+01:00
- What Kolloquium „Medien, die wir meinen“
- Wann 09.11.2005 von 18:00 bis 20:00
- Wo Sophienstraße 22a, R. 0.01 (Medientheater)
-
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Mit
der Verbreitung des Vokalalphabets im antiken Griechenland bildeten
sich neue mediale Praktiken heraus, Schreiben und – zunächst – lautes
Lesen, und damit verbunden neue Wortfelder, in denen sich diese
Praktiken abbildeten. Dieses neue Vokabular, wie auch die von Jesper
Svenbro untersuchten frühen Inschriften geben Zeugnis von dem
unübersehbaren Machtgefälle, das im griechischen Selbstverständnis
zwischen dem Schreiber, seinem Text und dem Leser existierte: der Leser
wurde als Sprachrohr des Schreibers, als Garant seines Nachruhms und
damit als eine ebenso umworbene wie verachtete Gestalt angesehen. Dieses
heute einigermaßen befremdende Verständnis der
Schreiber-Leser-Beziehung orientierte sich in aller Drastik – so
Svenbros These – an der päderastischen Beziehung, der Knabenliebe: mit
allen nur denkbaren Mitteln der Verführung und Überwältigung mußte der
Leser dazu gebracht werden, das Geschriebene zu „vokalisieren“. Erst die
Erfahrung des tragischen Agons, von Stücken also, die von Schauspielern
vor schweigenden Zuschauern vorgetragen wurden, scheint dann das stille
Lesen, die Verinnerlichung der Stimme und damit eine erste
Distanzierung ermöglicht zu haben. Ein grundsätzlich anderes und mit der
Gründung der Akademie auch umgesetztes Modell – so Svenbros
Schlußpointe – entwickelte Platon in seinem Phaidros, wo sich Schreiber
und Leser, in „platonischer Liebe“ vereint, an der gemeinsamen
„Wahrheitssuche“ beteiligen und der Leser befähigt wird, das
Geschriebene nicht nur nachzusprechen, sondern argumentativ zu
verteidigen.