Humboldt-Universität zu Berlin - Medienwissenschaft

Martin Carlé und guests: ENIAC NOMOI

  • Was Kolloquium „Medien, die wir meinen“
  • Wann 01.02.2006 von 18:00 bis 20:00
  • Wo Sophienstraße 22a, R. 0.01 (Medientheater)
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Martin Carlé, Joulia Strauss, Gerald Wildgruber und Holger Kuhla stellen das Projekt ENIAC NOMOI vor und zur Diskussion. Dabei geht vor allem um die wissenschaftlichen Hintergründe und die Theorie des im folgenden in aller Kürze geschilderten Geschehens:

Es sollen besingen 17 tausend Röhren des 1946 vorgestellten ersten elektronischen Rechners in echtzeitlichen Simulation die historische Weihe des [E]lectrical [N]umerical [I]ntegrator [A]nd [C]alculator zum ersten »Computer« als Kennzeichen für eine neue Epoché der Zeit. Denn, wie die akustische Archäologie der Humbloldt-Universität erst kürzlich entdeckt hat, fällt schon am hochfrequenten Takt des ENIAC der platonische Irrtum über das Logische der Sprachen zurück in die Technik und die transzendentale Idealität mathematischer Operationen selber in die Hörbarkeit der Zeit. In zeitkritischer Synchronisation und systematischer Koordination von Rhythmus, Melodie und Harmonie betreibt der Sound des ENIAC Mimesis und zwar strukturell exakt mit der selben Zwangsläufigkeit zur Synthese neuen Wissens, wie dies Aristoteles für die höchste Form der Poesie im Wesen der Tragödie beschreibt.

Titel und Begriff »Computer« empfing die hochfrequent zum zählen gebrachte Radarmaschine aber aus den Händen tatkräftiger Frauen, die auserwählt waren unzählige andere noch mechanisch von Hand rechnende Mathematikerinnen vom Schicksal »Computer« zu befreien. Die Auserchorenen, nachmalig als „ENIAC-Girls” berühmten ersten Programmiererinnen der Geschichte, gaben im Tausch dieses Titels jedoch weit mehr als nur stupide Routinen aus des Menschen Hand. Denn als sie erneut routiniert zu akustisch erteilten Befehlen mit Kabeln in der Hand quer durch das bühnenhafte Areal jenes 13m x 9m messenden ENIAC bewegten, programmierten die Choreographien aus Los Alamos das monströse Gestell mit keiner geringeren als der bis heute existentiellen Frage nach der Fusionierbarkeit des atomaren Kerns.

An keinem geringeren Ort als am Gestell der Gigantomachie des Abendlandes, im Angesicht seiner stolzen Inszenierung des Alles oder Nichts, 0 und 1, stellen wir deshalb gegenüber dem Bildprogramm des Fries am pergamenischen Altar PK, die Frage nach der Fragilität des Daseins und der Geschichtlichkeit des Seyns aus Technik neu.

In drei Akten führen 8 ENIAC-Girls gehalten im Sound und getragen im Tanz die seynsgeschichtliche Dramaturgie hinter dem Geschehen aus. Nach der Exposition des ENIAC im Altarraum als musikalisches Instrument vermitteln synthetische Skulpturen, die aus mathematischen Symbolen allmählich zu lebendigen Tiergestalten erwachsen, die operative Dimension mimetischer Simulation auch für den Bezirk des Lebendigen und den Bereich der Biotechnologien. Zwei Stimmen in enharmonischem Gesang leiten das proportionale Wachstum der Tiere in Akt 2 und verdeutlichen die ursprüngliche Genese mimetischen Wissens aus der gegenseitigen Stabilisierung und Konfiguration reiner Intervalle zu systematischer Tonalität. An den Systemen der alten Musik und ihrer erst mathematisch gegebenen Notation, wird schließlich der ENIAC streng anlog, wie zu Beginn der klassischen Antike der Chor zur Tragödie, reprogrammiert. In Akt 3 werden die konfigurierten Programme auf dem nach originalen Schaltplänen mit patentfreier Musiktechnologie simulierten ENIAC in Klang und Tanz exekutiert. Die mathematischen Tiere werden geopfert, denn das Symbolische war einst das Haus des Seins.