Jens Papenburg: Transatlantische Echos. Elvis Presleys Stimme und das Magnettonband als Radio
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- Jens Papenburg: Transatlantische Echos. Elvis Presleys Stimme und das Magnettonband als Radio
- 2008-11-05T18:00:00+01:00
- 2008-11-05T20:00:00+01:00
- Was Kolloquium „Medien, die wir meinen“
- Wann 05.11.2008 von 18:00 bis 20:00
- Wo Sophienstraße 22a, R. 0.01 (Medientheater)
- iCal
In Rock’n’Roll-Produktionen der 1950er Jahre wurde das Magnettonband nicht nur als Speichermedium sondern auch – indem Aufnahme- und Wiedergabekopf gleichzeitig aktiviert waren – als Übertragungsmedium, also als eine Art Radio eingesetzt. Der Übertragungsvorgang geschah dabei nicht mit Licht- sondern mit Bandgeschwindigkeit. Deshalb war er nicht unhörbar und erklang bekanntlich als Echo.
Mein Vortrag widmet sich dem variablen Zeitintervall zwischen Aufnahme
und Wiedergabe. Dessen Dauer muss nicht ausschließlich der Beliebigkeit
überantwortet noch bloß mit äußeren Zeitplänen (etwa Programmplänen oder
Zeitzonen) synchronisiert sein, sondern kann auch durch die Physik des
Tonbandgeräts bestimmt sein. Sind Aufnahme- und Wiedergabekopf
gleichzeitig aktiviert, dann ermöglicht das Tonband einen
automatisierten Umgang mit Zeitlichkeit im Millisekundenbereich. Ein
solches Zeitintervall ist zu kurz, um in ihm zeitaufwändige und
avantgardistische Schnitt- und Montageverfahren durchzuführen. Trotzdem
gab es ein Feedback zwischen Tonband und bestimmten Gesangs- und
Spieltechniken, die besonders im Rock’n’Roll prominent wurden. Geslappte
Bässe und „Schluckauf“-Gesangsstile resonierten mit diesem ultrakurzen
Intervall und exponierten das berühmt gewordene Slapback-Echo.
Den Einsatz des Tonbands als Radio werde ich über zwei Geschichten aufschließen. Zum einen über die Geschichte von Elvis Presleys Stimme, die im Sun Studio in Memphis (Tennessee) 1954/55 als Tonbandstimme entstand und die ab 1960 zunehmend zu einer croonenden Mikrophonstimme wurde. Zum anderen über die Geschichte des Tonbands selbst, welches in Deutschland entwickelt und erst als Kriegsbeute im Medienverbund mit dem Radio in den USA erfolgreich wurde. Beide Geschichten treffen sich an einem konkreten Ort: in der hessischen Kurstadt Bad Nauheim. In Bad Nauheim erfuhr 1945 der G.I. John Mullin von der Hochfrequenzvormagnetisierung, die zur Erfolgsbedingung des Tonbands in den USA wurde. In Bad Nauheim wohnte von 1958 bis 1960 der G.I. Elvis Presley und trug zur Popularisierung des Rock’n’Roll in Deutschland bei. Jedoch begann nach Presleys Rückkehr in die USA dessen Tonbandstimme zu schwinden.