Humboldt-Universität zu Berlin - Medienwissenschaft

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Gerald Wildgruber: Über das *Ei* zu Göttingen: Rhythmus, Zahl und Logos zu Beginn und am Ende der Mathematik

  • Was Kolloquium „Medien, die wir meinen“
  • Wann 27.01.2004 von 18:00 bis 20:00
  • Wo Sophienstraße 22a, R. 4.11
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Gemeinsames Oberseminar von Prof. W. Ernst und Prof. F. Kittler.

Der Vortrag behandelt eine folgenreiche Konvergenz des frühen griechischen Zahldenkens mit den spezifischen Operationen der Hilbertschen Neubegründung der Mathematik (und ihrer maschinentechnischen Folgen) vom Beginn des 20 Jh. – Die pythagoräischen arithmoi werden in ihrem prozessualen (peras/apeiron), musikalischen (Tetraktys) und figuralen, auf Raum und Materialität bezogenen Charakter dargestellt (Philolaos, Archytas). Im Licht dieser Vorstellung von Zahl geht es dann um die Initiative Hilberts zur Bewältigung der sog Grundlagenkrise, insbesondere um die seltsame Operation der von ihm geschaffenen Beweistheorie oder Metamathematik.

Diese, als äußerste Zuspitzung des spezifisch abendländischen Rationalitätstypus der axiomatisch deduktiven Methode, findet in ihrer radikalen Verbildlichung von Schrift Zahl in der griechischen Inspiration von arithmos als gefügehafter Konstellation wieder. Der exemplarische Gegenstand der Mathematik, die Hilbertsche ‚Beweisfigur‘, stellt sich nicht mehr als durch inhaltliches Denken nachzuvollziehendes Argument, sondern als nach bestimmten Regeln, quasi mechanisch auseinander hervorgehende Folge von ‚Zahlen‘ im griechischen Sinne dar. Disziplinär betrachtet: die verdrängte Geometrie realisiert sich als Algebra; sie kehrt unheimlich und umso stärker wieder, indem nun Zeichenfolgen nicht mehr nach der Ordnung des Sinns, des logos, sondern nurmehr rein räumlich-geometrisch aufgefaßt werden. – Die Problemlage des 20 Jh (und ihren Umschlag in den Entwurf einer Maschine) erfaßt am schärfsten die intuitionistische Polemik: «Auf die Frage, worin denn wohl die mathematische Exaktheit bestehe, antworten beide Parteien verschieden; der Intuitionist sagt: im menschlichen Intellekt, der Formalist: auf dem Papier» (Brouwer).