Florian Hirsch: Schreibende Computer: Wie GPT das Aufschreibesystem verändert [Masterarbeit]
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- Florian Hirsch: Schreibende Computer: Wie GPT das Aufschreibesystem verändert [Masterarbeit]
- 2024-05-29T18:00:00+02:00
- 2024-05-29T20:00:00+02:00
- Wann 29.05.2024 von 18:00 bis 20:00
- Wo Medientheater Raum 001 Georgenstraße 47
- Name des Kontakts constantin.matti.roth@hu-berlin.de
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Die Veröffentlichung von ChatGPT im Jahr 2023 markiert den Beginn eines groß angelegten
Feldexperiments. Es gibt Hinweise darauf, wie und wofür Menschen Large Language Modelle
(LLM) nutzen und welche Probleme und Risiken mit der Nutzung verbunden sind. LLMs haben
bereits Debatten ausgelöst, wie z.B. die Diskussion um den Einsatz von LLMs an den Universitäten
zeigt, und werden zukünftig in vielen gesellschaftlichen Bereichen Anwendung finden. Sie bilden
eine neue Art von Schreibwerkzeug, das, anders als alle vorherigen, im Stande zu sein scheint,
Gedanken nicht nur zu formen, sondern auch zu vervollständigen.
In seiner Habilitationsschrift Aufschreibesystem 1800/1900 untersucht Friedrich A. Kittler
wie technische Medien jene „Praktiken [verändern], deren Zusammenspiel eine Schriftkultur
ausmacht.“1 Für den „Entwurf eines Organisationsplans für den Nachrichtenfluß, den wir Literatur
nennen“ untersucht er dafür Texte aus dem 18., 19. und 20. Jahrhundert, die sich mit dem Schreiben
(und dem Lesen) befassen. Auf diesem Weg findet der Literaturwissenschaftler „Daten und Belege
[für] einen Umbruch in den Kulturtechniken“2, den Grammophon, Film und Typewriter auslösen.
Weil Computer die Schreibmaschine als dominantes Schreibwerkzeug um die
Jahrtausendwende ablösen, setzt Till A. Heilmann Kittlers Untersuchung fort. In seinem
Aufschreibesystem 2000 sind Computer mehr als „bessere Schreibmaschinen“3. Wie Schreiben sich
vollzieht, verändert sich grundlegend, wenn numerische Werte an die Stelle von Buchstaben treten.
Mit automatischer Rechtschreibkorrektur, Emojis und kollaborativem Schreiben an geteilten
Dokumenten eskalieren Textverarbeitungsprogramme die Funktionalität des Schreibwerkzeugs.
Durch die Miniaturisierung und konsequente Vernetzung von Computern eskaliert außerdem der
Einsatz von Schrift in der Kommunikation zwischen Menschen.
Wenn heute Computer in Gestalt von Large Language Modellen (LLMs) auftreten, kann
angenommen werden, dass es abermals zu einer radikalen Veränderung des Schreibens kommt. Um die Veränderungen erkennen zu können, ist es notwendig zu verstehen, wie LLMs als Modelle des
maschinellen Lernens funktionieren. Die Masterarbeit leistet dazu am Beispiel von GPT
(Generative Pre-Trained Transformer) des US-amerikanischen Forschungsunternehmens OpenAI
einen Beitrag. Dabei steht das Zusammenspiel von Computing und Computation im Kontext
linearer Algebra im Fokus. Wenn das LLM das wahrscheinlich nächste Zeichen in einer
Zeichenfolge generiert, bildet es mathematisch eine stochastische Ausgabe auf eine statistische
Eingabe ab. GPT schreibt Text nicht, es berechnet ihn.
GPT ist weder dazu fähig Bedeutung aus Text zu decodieren, noch Bedeutung in Text zu
codieren. Es perfektioniert aber die Täuschung im Sinne Alan Turings: Seine Outputs sind Texten,
die von Menschen geschrieben werden, zum verwechseln ähnlich, weswegen Menschen die
generierten Zeichenfolgen akzeptieren und mit Bedeutung aufladen. Somit halluziniert nicht GPT,
sondern die Menschen. Nur diese gelingende Täuschung können die generierten Zeichenfolgen in
Diskurs einfließen. Durch diesen Umstand erlangt GPT eine andere Diskursmacht als die
Schreibwerkzeuge der vorangegangen Aufschreibesysteme. Das Experiment ChatGPT wird deshalb
auch Hinweise darauf geben, wie sich die Stellung von Menschen und Maschinen in ihrer
Interaktion verändert und wie Menschen mit der narzisstischen Kränkung umgehen, die scheinbar
schreibende Computer auslösen.