Humboldt-Universität zu Berlin - Medienwissenschaft

Dr. Ingrid Hölzl: Moving stills – Fotografie in Bewegung

  • Was Kolloquium „Medien, die wir meinen“
  • Wann 15.07.2009 von 18:00 bis 18:00
  • Wo Sophienstr. 22a, Raum 0.01 (Medientheater)
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In Walter Benjamins Kleiner Geschichte der Photographie findet sich eine merkwürdige Passage: „Ist es schon üblich, daß einer, beispielsweise vom Gang der Leute, sei es auch nur im groben, sich Rechenschaft gibt, so weiß er bestimmt nichts mehr von ihrer Haltung im Sekundenbruchteil des ‚Ausschreitens‘. Die Photographie mit ihren Hilfsmitteln: Zeitlupen, Vergrößerungen erschließt sie ihm“. (Benjamin 1977: 50). Merkwürdig daran ist der Lapsus, der Benjamin unterläuft: Die Zeitlupe wird gemeinhin den filmischen und nicht den fotografischen Verfahren zugerechnet. Wenn Benjamin dann im gleichen Zusammenhang die Fotografie als Sichtbarmachung des Optisch-Unbewussten definiert, begreift er sie implizit als ein dynamisches, verzeitlichtes Medium – eine Auffassung, die offenbar so nachdrücklich wirkt, dass sie auch in der französischen Übersetzung durchschlägt. Hier heißt es: „La photographie, avec ces auxiliaires que sont les ralentis, les agrandissements, montre ce qui se passe.“ In der Wendung „montre ce qui se passe“ wird die Bedeutung der bildlichen Repräsentation von Bewegung noch verstärkt – die Fotografie zeigt nicht nur, was ist, sondern was passiert.
Dieser quasi medienarchäologische Lapsus Walter Benjamins illustriert die Zielrichtung meines Vortrags: These ist, dass die digitale Konvergenz bewegter und unbewegter Bilder (auf der Ebene der Produktion und Postproduktion ebenso wie auf der Ebene der Dissemination) in der Mediengeschichte fotografischer und filmischer Bilder bereits angelegt ist. Sie macht sich medientheoretisch in den nicht nur bei Benjamin auftretenden Schwierigkeiten bemerkbar, Fotografie und Film eindeutig auseinander zu halten; ihren konkreten Ausdruck findet sie in Produktionen und Praktiken, die in den Grenzregionen der beiden medialen Formen angesiedelt sind. Historisch lassen diese sich bis in die hybride Ur- und Frühgeschichte fotografischer und filmischer Bilder verfolgen, die bereits seit längerem Gegenstand der Filmarchäologie ist. Die zunehmende Präsenz digital mobilisierter fotografischer Bilder in der visuellen Kultur der Gegenwart hingegen ist bisher noch kaum Gegenstand der medienwissenschaftlichen Forschung gewesen – wohl auch deshalb, weil ihre mediale und damit akademische Zuordnung ungeklärt ist. Die Selbstverständlichkeit, mit der heute foto-, video- und computergrafische Aufzeichnungs- und Darstellungsmedien miteinander kombiniert werden, zeigt jedoch, dass das „erweiterte Feld der Fotografie“ (Baker) zwischen analog und digital, Bewegung und Stillstand, Print und Projektion eines erweiterten Begriffs des Fotografischen bedarf.