Humboldt-Universität zu Berlin - Medienwissenschaft

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Moritz Hiller: "Software-Philologie, oder: Die Zeichen der Zeit lesen" (Dissertation)

  • Wann 04.02.2015 von 18:00 bis 20:00
  • Wo Georgenstraße 47, R. 0.01 (Medientheater)
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Was ist Software? Eine erste Antwort könnte lauten: ihr Sourcecode. Eine andere: das laufende Programm. In dem Maße, wie Software eine statisch-textuelle und eine prozessuale Dimension umfasst, erweist sich ihr Objektstatus als prekär. Software ist nicht auf die rein syntaktische Dimension eines alphanumerischen Textes reduzierbar, aber auch nicht nur in der Logik ihrer Ausführung umfassend denkbar. Entgegen der noch immer verbreiteten Meinung von der Immaterialität der Zeichen im Zeitalter des Digitalen zeigt sich Software darin in ihrer materiellen Bedingtheit. Die operative Dimension, die sich in unterschiedlichen Spannungszuständen der Maschine ereignet, ist mit den menschlichen Sinnen indes selbst nicht wahrnehmbar. So ist es etwa erst in der Vermittlung einer graphischen Benutzeroberfläche, wo erfahrbar wird, dass implementierter Sourcecode etwas macht. Bereits vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Objekt, Materialität und Medialität von Software. Einige Überlegungen zu diesem Verhältnis vorzustellen, die im Rahmen der Software Studies formuliert wurden, ist das erste Ziel des Vortrags.
 
Damit aufgerufen ist auch die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Repräsentation des Objekts, das Software einerseits als Text ist und andererseits als Prozess immer erst wird. Das Problem wird nicht zuletzt dort virulent, wo die Software Studies selbst bislang keine Techniken formuliert haben, die dem Erhalt und der Überlieferung ihres Gegenstands gewidmet sind. Was fehlt, ist eine
Grundlagenforschung, die jene Materialbasis kritisch zur Verfügung stellt – wie es etwa das Geschäft der textkritischer Philologie ist. Der Vortrag will sich deshalb der Idee einer Software-Philologie widmen. Da eine solche Philologie beide Existenzweisen ihres Objekts – als statischer Text und/oder zeitkritischer Prozess – berücksichtigen muss, stellen sich vertraute Fragen erneut: Was für einen Textbegriff weist Software auf, wenn ihre Textualität die operative Implementation in einer Maschine voraussetzt, die – anders als ein Buch – selbst liest und schreibt?
Sofern die Materialität und der Parameter der Zeit damit noch einmal in anderer Weise als bei herkömmlichen Texten konstitutiv ins Spiel kommen, welche Form der Repräsentation wäre dann angemessen: Simulation oder Emulation? Und wie verhalten sich diese mimetischen Operationen zu traditionellen Darstellungsweisen der Philologie, besonders im Bezug auf das Verhältnis zur Materialität ihrer jeweiligen Objekte? Anhand dieser Fragen einige grundsätzliche Überlegungen zu einer möglichen Software-Philologie zu entwickeln, ist das zweite Ziel des Vortrags.