Humboldt-Universität zu Berlin - Medienwissenschaft

Manuel Günther - Der Schritt von Fiktionen zu Simulationen

  • Wann 22.06.2022 von 18:00 bis 20:00
  • Wo Medientheater, Raum 0.01, Georgenstraße 47, 10117 Berlin Online via Zoom
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Manuel Günther wird eine Präsentation auf Grundlage seiner Masterarbeit Von der Heldenerzählung zur Herrschaft der Zählung. Tischrollenspiele als medienbedingte Schnittstelle zwischen Fiktion und Simulation halten.

 

Abstract:

In den preußischen Offiziersschulen des 19. Jahrhunderts setzen Strategen nach und nach durch, eine bis dahin eher unterhaltsame Beitreibung des Hochadels zur Ausbildung angehender Militärs einzusetzen: Das Kriegsspiel. Anfangs aus den Regeln des Schachs entwickelt, bleibt es dessen Kernprinzipien zwar treu, wird aber immerfort weiterentwickelt und auf den Stand der Militärtechnik aktualisiert. Nach einer Reihe von Erfolgen der preußischen Armee wird
es zum Exportschlager und schließlich zur Vorlage für kommerzielle Veröffentlichungen. Als die westlichen Nationen nach und nach ihr militärtaktisches Wissen vom Nachvollzug schriftlicher Kriegsberichte auf das Studium der Kontingenzen umschalten, kippt die Nachbildung des Schlachtgeschehens – in Begriffen Friedrich Kittlers – von der Fiktion in die Simulation.

Schon damit wird etwas in Gang gesetzt, das seinerzeit niemand versteht, in diesem Kipppunkt jedoch bereits angelegt und nur medientheoretisch erklärlich ist: Anders als Kriegsbericht und Kriegsroman und Ode betreibt das Kriegsspiel die Zwischenspeicherung und Verarbeitung abgetasteter Daten, ahnt somit bereits von der Vorhersehbarmachung des Unvorhersehbaren und beginnt die Umformung des Realen im Wortsinn Lacans zum manipulierbaren Code. Militärische Kriegsspiele wie kommerzielle Wargames symbolisieren von den taktischen Vorgängen realer Schlachten, wofür es im Imaginären keinen Raum gibt. Wie Fraktale gehen ihre Regelwerke immer weiter und selbstähnlich ins Detail, um Tatsachen schließlich nicht nur zu behaupten, sondern wirklich zu schaffen. An die Stelle der Vorstellungen in uns treten damit Zahlen außer uns, die nach dem Psychoanalytiker Jacques Lacan primär sind von jeher.

Wie vieles andere eskaliert auch diese Codemanipulation, sobald sie Computern überstellt und von Digitalprozessoren verarbeitet wird. Obschon selbst der Zweite Golfkrieg im August 1990 noch eine Intervention des US-Militärs sah, die dessen Planungsstab auf Grundlage eines brettbasierten Strategiespiels aus dem Freizeithandel plante, generieren strategierende Turingmaschinen bis heute – mithin im Zivilbereich – Sachen, die es schlechthin nicht gegeben hat, bis hin zur Plattformökonomie. Mit dem kalten Blick der Medientheorie soll die Dreiheit von Realität, Fiktion und Simulation anhand des Kriegsspiels begrifflich geschärft und auf ihren Nutzen für eine Wissenschaft der technischen Medien untersucht werden.

 

Bitte beachten! Trotz bundesweiter Lockerungen bitten wir darum, während der Präsenzveranstaltungen selbstständig eine Maske zu tragen und die 3G-Regeln einzuhalten.

Wir bitten um eine kurze Rückmeldung, damit wir die ungefähre Anzahl an Teilnehmenden einschätzen können.

Zusätzlich bieten wir auch eine Teilnahme via Zoom an. Bitte wählen Sie sich dafür ab 17:50 Uhr ein. Den Link erhalten Sie auf Nachfrage von Raphael Tostlebe.