Humboldt-Universität zu Berlin - Medienwissenschaft

Sascha Knaack: Aufmerksamkeit (Magisterarbeit)

  • Was Kolloquium „Medien, die wir meinen“
  • Wann 24.11.2010 von 18:00 bis 20:00
  • Wo Sophienstraße 22a, R. 0.01 (Medientheater)
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Der natürliche ungezwängte Zustand unserer Aufmerksamkeit ist herumzuschweifen zu immer neuen Dingen, und so wie das Interesse eines Objektes erschöpft ist, so wie wir nichts Neues mehr daran wahrzunehmen wissen, so geht sie wider unseren Willen auf anderes über. Wollen wir sie an ein Objekt fesseln, so müssen wir eben an diesem selbst immer Neues zu finden suchen, besonders wenn andere kräftige Sinneseindrücke sie abzulenken streben.“
Hermann von Helmholtz: Handbuch der physiologischen Optik, Bd. 3, Hamburg/Leipzig, 1909–1911

„Hieraus folgt aber nicht, daß die Aufmerksamkeit etwas Leichtes sey. Sie erfordert vielmehr eine Anstrengung, da der Mensch, wenn er den Einen Gegenstand erfassen will, von allen Anderen, von all den tausend in seinem Kopf sich bewegenden Dingen, von seinen sonstigen Interessen, ja sogar von seiner eigenen Person abstrahiren–und, mit Unterdrückung seiner die Sache nicht zu Worte kommen lassenden, sondern vorschnell aburtheilenden Eitelkeit, starr sich in eine Sache vertiefen, dieselbe, – ohne mit seinen Reflexionen darein zu fahren,– in sich walten lassen oder sich auf sie fixieren muss. Die Aufmerksamkeit enthält also die Negation des eigenen Sichgeltendmachens und das Sich-Hingeben an die Sache.“
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Die Philosophie des Geistes, Bd. 10, Stuttgart, 1942

In dem Begriff „Aufmerksamkeit“ erscheinen Gegensätze wie Starre und Bewegung, Neu und Alt, Anwesenheit und Abwesenheit auf erzwungene Weise verschränkt und getrennt: Wenn man ein Symbol für Aufmerksamkeit suchen sollte, wäre ein geöffnetes Auge eine mögliche Lösung - die nötige Ergänzung wäre sicherlich auch ein verschlossenes Ohr. Dem Riesen Argus mit seinen hundert Augen, deren fünfzig schliefen, bis sie wieder an die Reihe kamen aufzuwachen, könnte man aus antiker Personage, Kairos, den Gott des günstigen Augenblicks beigesellen, Teiresias, den blinden Seher, wenn nicht Hermes mit seinem Grossvater Chronos selbst.

Die Tätigkeit des „Aufmerksamseins“ kann man als eine Operation beschreiben, deren Imperativ die Unumkehrbarkeit der Zeit selbst ist. Nachrichten, die nicht in diese Operation aufgenommen werden - fallen dem Rauschen anheim, sie werden nicht weitergetragen und nicht berücksichtigt. „Aufmerksamkeit“ ist also Selektion und damit Exklusion, aber genau deshalb auch Rekursion, Verschaltung, sie leistet Kohärenz und Negentropie. So scheinen „Aufmerksamkeitprozesse“ dem Menschen tatsächlich die Zeit selbst erst zu gewähren und das in physiologischer, technischer und kultureller Dimension. Der Vortrag skizziert das Magisterprojekt, sich dem Begriff der „Aufmerksamkeit“ in epistomologischer und medienarchäologischer Weise zu nähern, um ihn als einen Schlüsselbegriff für die Medienwissenschaft zu akquirieren; denn Medien induzieren, dispositionieren, instrumentalisieren und institutionalisieren „Aufmerksamkeitsweisen“ selbstredend in wesentlichem Masse.