Humboldt-Universität zu Berlin - Medienwissenschaft

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Gastvortrag "Die Körperlichkeit des Rechnens oder Warum die Rechenautomaten Lautsprecher hatten" von Dr. Gerard Alberts (Universiteit van Amsterdam) am Lehrstuhl für Medientheorien HU Berlin

  • Was Chronik des Lehrstuhls für Medientheorien
  • Wann 08.12.2010 von 14:00 bis 16:00
  • Wo Sophienstraße 22a, R. 0.01 (Medientheater)
  • iCal

Die Veranstaltung ist im Rahmen der Vorlesung „Medium und Affekt. Der menschliche Zeitsinn in Kopplung an ‚audiovisuelle‘ Technik“ von Prof. Dr. Wolfgang Ernst (Lehrstuhlinhaber Medientheorien HU Berlin) und in Zusammenarbeit mit der Vortragsreihe “oscillation series – sonic theories and practices, http://sonictheory.com/“ organisiert von Shintaro Miyazaki und Jan Thoben.

Die Körperlichkeit des Rechnens,  oder Warum die Rechenautomaten Lautsprecher hatten.

Gerard Alberts
Universiteit van Amsterdam
Instituut voor Informatica; Program in the History of Computing

Die frühesten Computer, schon um 1950, waren mit Lautsprecher versehen. Sie hätten still sein können, waren es aber nicht. Dass die digitale Elektrizität, die später nur noch als Bits, Nullen und Einsen betrachtet wurde, damals auch nochmals durch einen Lautsprecher geführt und zum Klingen gebracht wurde, hatte eine besondere Bedeutung. Es galt die Beruhigung des Benutzers. Die Lautsprecher waren auditive Monitore.

Eine Archäologie der Rechnerkonsole weist darauf hin, dass wohl alle frühen Rechner –ausser die Geräte von IBM – Lautsprecher hatten. Die BenutzerIn, die menschliche RechnerIn, hatte vormals ihre Rechnungen selbst zusammen gekurbelt und war in dem Sinne dadurch unmittelbar auf das Rechenverfahren bezogen. Bei den Automaten wurden die Rechenaufgaben in sie hineingeführt (über Lochstreifen oder Lochkarten) und wenig später kam dabei etwas heraus. Man konnte nur hoffen, dass es zwischen den beiden Prozessen eine rationelle Beziehung gab. Zur Beruhigung lauschte man dem Prozess ab. Die Rechnerin hörte also nicht im allgemeinen dem Funktionieren des Geräts zu, sondern ganz präzise dem Rechenablauf, dem Prozess, dem Ablauf der programmierten Befehle. Der Lautsprecher bot eine sinnliche Bestätigung, dass etwas vernünftiges, etwas nachvollziehbares geschah; dass wirklich das Programm ablief. Dies nachzuvollziehen war für den Benutzer spannend und von großer Bedeutung.

Kurz nach 1960 verschwand dieses Vorgehen. Nicht nur das Rechnen, sondern auch die Zusicht darauf wurde automatisiert. Im allgemeinen entwickelte sich eine neue Art von Programmieren, Metaprogramme oder Programme die Programme erzeugten, in einem Wort: Software. Monitorprogramme bildeten dabei eine wichtige Klasse von Software.

Die Vorlesung wird aus der Archäologie der Konsole einerseits auf die Körperlichkeit des Rechnens, andererseits auf der Art des Programmierens und der Software schliessen. Ausserdem wird die Vorlesung ein Streiflicht auf das Spielen mit dem Computer werfen. Dass hier “Musik” gemacht wurde, bezeichnet eben dass in der Technik immer auch ein spielerisches Element mitspielt.

Gerard Alberts ist Kulturhistoriker der Informatik und der Mathematik. Er promovierte über Rationalisierung und Mathematisierung im kulturellen Kontext der Nachkriegszeit. Innerhalb der Computergeschichte ist die Softwaregeschichte seine Spezialität. Unter seiner Führung wird das ESF Forschungprojekt “Software for Europe” (2007–2011) ausgeführt mit Beteiligung von 11 Gruppen in Europa und Amerika. Alberts ist Dozent für Geschichte der Informatik und Mathematik und für gesellschaftliche Beziehungen der Wissenschaft an der Universität Amsterdam.